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Annahita Esmailzadeh über die Geschlechter-Diversität in der deutschen Tech-Branche 

Sie ist Leaderin bei Microsoft und eine der größten Business-Influencerinnen Deutschlands. In unserem Interview erzählt Annahita Esmailzadeh über ihren Weg in die Tech-Branche und welche Tipps sie jungen Frauen mitgibt, die am Anfang ihrer Karriere in MINT stehen.

Annahita Esmailzadeh

Passionate Leader at Microsoft | Speaker | Bestselling Author

Insbesondere Frauen entscheiden sich häufig erst gar nicht für eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich. Was waren Ihre Beweggründe für Ihr Studium im Bereich Computer Science? War der Weg in die Tech-Branche schon immer Ihr Wunsch?

Ganz und gar nicht! Ich war in technischen Fächern immer ganz solide, aber beim besten Willen nicht die größte Leuchte. Die treibende Kraft war der Wunsch meiner Eltern, etwas „Handfestes“ mit guten Zukunftsaussichten zu studieren. Ich bin ein klassisches Arbeiterkind, mein Vater war Taxifahrer, meine Mutter arbeitete lange Zeit als Verkäuferin. Uns ging es niemals schlecht, aber Geld war immer ein Thema. Meinen Eltern war es daher umso wichtiger, dass mein Studium mir finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen sollte und ich konnte den Wunsch gut nachvollziehen. Ich achtete bei meiner Studienwahl folglich nur auf zwei Kriterien: Gute Berufsaussichten und ein attraktives Gehalt. So entschied ich mich, ohne jegliche Vorkenntnisse, für Wirtschaftsinformatik und saß einige Wochen später in meiner ersten Softwareentwicklungsvorlesung. Und das, ohne vorher jemals auch nur eine Zeile Code in meinem Leben geschrieben zu haben. Zu meinem eigenen Erstaunen fand ich schon nach kurzer Zeit großen Gefallen an dem Studium und der Grundstein für meinen Weg in die Tech-Welt war geebnet.

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Sie selbst sind nun seit Jahren in der IT-Branche tätig und agieren in den sozialen Medien als passionierte Leaderin. Nehmen Sie Ihr Auftreten als Vorbildrolle für andere junge Frauen wahr?

Ich hoffe sehr, dass ich anderen Frauen – und auch Männern – Mut machen kann, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen, auch wenn sie auf ihrer Reise auf Hürden und Hindernisse stoßen.

Der MINT-Bereich befindet sich schon nachweislich im Wandel. Seit 2008 hat sich der Anteil an Frauen, die sich für einen MINT-Studiengang entscheiden, fast verdoppelt. Wie steht es Ihrer Meinung nach aktuell um das Thema Geschlechter-Diversität in dieser Branche?

Im Jahr 2021 betrug der Frauenanteil unter den Studienanfängerinnen und Studienanfängern im MINT-Bereich lediglich 34,5%. Der Frauenanteil in MINT-Berufen ist nochmals niedriger und liegt beispielsweise für Frauen im IT-Bereich bei nur 17,5 Prozent. Dabei ist es vor allem angesichts der 96.000 offenen Stellen, auf die der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) hinweist, für die IT-Branche unabdingbar, Frauen bei der Besetzung dieser zukunftsfähigen Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Umso wichtiger ist es, dass wir Mädchen schon während der Schulzeit für Technologien begeistern und ihnen Digitalkompetenzen vermitteln. Der Informatikunterricht an deutschen Schulen ist jedoch bis heute lückenhaft und oft nicht praxisnah gestaltet. Es ist daher notwendig gezielt in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften in dem Bereich zu investieren, um den Anschluss bei der Digitalisierung zu schaffen. Es ist zudem wesentlich, dass wir Geschlechterklischees schon von klein auf abbauen, und das Interesse sowie Selbstbewusstsein von Mädchen für MINT-Fächer stärken.

Sollten sich vermehrt Frauen in der Branche sichtbar machen und eine entsprechende Vorbildfunktion einnehmen, oder konnten Sie auf der anderen Seite bereits ein toxisches Wettbewerbsdenken wahrnehmen?

Je mehr weibliche sichtbare Vorbilder es gibt, desto mehr können wir jungen Mädchen und Frauen Mut machen und ihnen eine Stimme geben

Wettbewerbsdenken ist aus meiner Sicht Blödsinn. Der Kuchen ist groß genug für uns alle. Der Erfolg anderer stellt unseren eigenen Erfolg nicht in den Schatten – im Gegenteil. Je mehr es von uns gibt, desto größer wird die Bühne, auf der wir alle gemeinsam stehen. Umso wichtiger finde ich es, dass wir anderen auf diese Bühne hochhelfen.

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Diversität beschränkt sich nicht allein auf das Geschlecht. Inwiefern spielen Diversity-Dimensionen eine wichtige Rolle in der Arbeitswelt?

Vorstandsetagen und Aufsichtsräte sind bis heute überwiegend mit heterosexuellen Männern über 50 Jahren besetzt, die oft vergleichbare akademische Werdegänge aufweisen und deren Biografien ähnlichen Mustern folgen. Es sind damit auch vor allem jene Männer, die über die Vergabe von Positionen auf dieser Ebene entscheiden. Nun bevorzugen Menschen naturgemäß Menschen, die ihnen ähneln. Dieses Ähnlichkeitsprinzip hat zur Folge, dass immer homogenere Teams herangezüchtet werden. Die Konsequenz: Ohne äußeren „Druck“ und ausschließlich mittels freiwilliger Selbstverpflichtungen ändert sich an dem Status Quo wenig – es entsteht folglich nicht aus dem „Nichts“ Diversität. Fehlt nun Diversität in der Belegschaft, steigt auch das Risiko, Innovationspotenzial und Profitabilität einzubüßen. Eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 2020 belegt, dass Unternehmen mit hoher Gender-Diversität um 25 Prozent profitabler sind. Sobald zusätzlich eine hohe ethnische Diversität gegeben ist, steigt der Wert sogar auf 36 Prozent. Wenn ich von Diversität spreche, meine ich übrigens immer mehr als nur die Geschlechtsdimension. Denn wenn ein Team aus 5 Männern und 5 weiteren Frauen besteht, die alle ungefähr gleich alt sind, eine vergleichbare ethnische und soziale Herkunft, ähnliche körperliche und geistige Fähigkeiten haben und auch sonst sehr ähnlich ticken, ist dieses Team alles, nur nicht divers.

Mit welchen Kernbotschaften möchten Sie als Business-Influencerin durchdringen? Gibt es etwas, dass Sie jungen Frauen mit Interesse an MINT-Fächern, die am Anfang Ihres Karrierewegs stehen, mitgeben möchten?

Meine Stimme in den Medien und auf sozialen Netzwerken setze ich für mehr Diversität und Inklusion sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Wirtschaft ein

Es ist paradox, dass Unternehmen in Zeiten des sich stetig zuspitzenden Fachkräftemangels und des demographischen Wandels, in dem der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte immer intensiver wird, auf die Chancen von Diversität und damit nicht nur auf qualifizierte Talente, sondern auch auf Innovationspotenzial verzichten.

Wenn ich mit Mädchen und jungen Frauen spreche, die noch mit sich hadern, ob sie die richtige Eignung für die Tech-Branche mitbringen, erzähle ich ihnen gerne von Grace Hopper. Als 1969 der Preis für den „Man of the year“ in Computerwissenschaften zum ersten Mal vergeben wurde, ging er an eine Frau – an Grace. Grace Hopper war es, die den ersten Compiler entwickelte und den Begriff des „Bug“ für Softwarefehler prägte. So klebte sie eines Tages eine tote Motte in ihr Logbuch und schrieb daneben „First actual case of bug being found“ – „Erster Fall eines entdeckten Bugs“. Sie gilt als Pionierin der Programmiersprachen. Zu der Zeit waren die Menschen von Grace wahrscheinlich sogar weniger beeindruckt als heute, denn in der Frühzeit der Computerentwicklung war Programmieren noch ein typischer Frauenberuf. Das nur mal so nebenbei zu dem Vorurteil, dass Programmierung nichts für Frauen sei.

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