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KMU- Digitize or die!

Wer braucht eigentlich Inkasso?

Foto: Amnaj Khetsamtip via Shutterstock

Unternehmen jeder Größe, vor allem aber auch kleine und mittlere Unternehmen, brauchen Inkasso: In unserem wirtschaftlichen Miteinander gibt es Regeln und es gibt auch jemanden, der sich um die Einhaltung der Regeln kümmert.

Andrea Schweer

Selbstständige Inkassounternehmerin und Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU)

Dieser „jemand“ sind ganz oft Inkassodienstleister, die möglichst geräuschlos und effektiv dafür sorgen, dass Verträge eingehalten werden, noch bevor Gerichte eingeschaltet werden müssen.

Um die Arbeit von Inkassounternehmen anschaulich zu machen, schildere ich Ihnen ein Beispiel aus meiner beruflichen Praxis:

Das örtliche Sanitätshaus verkauft und verleiht allerlei Geräte vom Gehstock bis zum High-Tech-Pflegebett. Die Krankenkassen übernehmen in der Regel den größten Teil der Kosten, aber ein fester Anteil muss vom Patienten zugezahlt werden. Diese Zuzahlung wird von den Kunden schon mal verschoben oder vergessen, irgendwann bleibt die Schuld eben unbeglichen. Vielleicht kein Problem, solange solche Ausfälle Einzelfälle bleiben. Wenn sie sich aber häufen, werden Forderungsausfälle zum echten Problem. Und zwar nicht nur für das eigene Unternehmen, denn irgendwann zwingen die offenen Forderungen einen selbst, Forderungen von Dritten etwas zurückhaltender zu bedienen. In der Inkasso-Branche spricht man vom „Dominoeffekt“.

Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU) hat im November dieses Jahres seine Umfrage zur Zahlungsmoral vorgelegt: 55 Prozent der Rechtsdienstleister melden, dass Verbraucher und Unternehmen ihre Rechnungen unverändert gut bezahlen, verglichen mit dem Vorjahr. Aber bereits jeder vierte Inkassodienstleister (23 Prozent) macht aktuell die Erfahrung, dass die Zahlungsmoral schon schlechter geworden ist. Und auch der Ausblick ist negativ. Für 2020 erwartet die Mehrheit der Branche (59 Prozent) ein deutliches Nachlassen der allgemeinen Rechnungstreue in Deutschland.In der Umfrage haben die Inkassounternehmen auch ihre Erfahrungen mit gewerblichen Schuldnern mitgeteilt. Hier beobachten sie eben diesen Dominoeffekt – und der geht so: Zahlt ein Kunde die Rechnung seines Auftraggebers nicht, fehlt diesem das Geld, um seine eigenen Zahlungsverpflichtungen zu bedienen. Kippt also die Zahlungsmoral des Kunden, kann auch die Rechnungstreue des Auftragnehmers ins Wanken geraten – und so fällt ein Dominosteinchen nach dem anderen um. 72 Prozent der vom BDIU befragten Inkassounternehmen melden: Zahlungsausfälle bei eigenen Kunden sind der Grund, warum B2B-Kunden aktuell Rechnungen nicht bezahlen. 69 Prozent sehen einen momentanen Liquiditätsengpass als ursächlich, 47 Prozent beobachten, dass sich säumige gewerbliche Zahler einen „Lieferantenkredit“ holen – sprich, sie zögern ihre Zahlung kalkuliert heraus.

Zurück zum eingangs beschriebenen Beispiel des Sanitätshauses: Das Unternehmen hatte insgesamt etwas über fünfzig Fälle von nicht beglichenen Zuzahlungsrechnungen auf dem Tisch. Einen Teil musste es schon abschreiben, weil es keine Möglichkeit sah, die eigentlich völlig legitime Forderung noch zu realisieren. Irgendwann gehen solche offenen Forderungen aber an die Existenz des Unternehmens. Schließlich muss die Ladenmiete pünktlich bezahlt werden und das Finanzamt fordert regelmäßig Vorauszahlungen ein. Nun bat mich das Unternehmen um Unterstützung. Mit Recht – es kann nicht sein, dass ein Teil der Kunden ihre Zuzahlungsverpflichtungen selbstverständlich begleichen und einige wenige es vergessen – oder vergessen wollen. Nicht alle redlichen Kunden können auf Reichtümer zurückgreifen, einige müssen schonmal auf etwas verzichten, um die redlichen Kunden zu bleiben, die sie natürlich bleiben wollen. „Genau diesen Kunden gegenüber können Sie nicht rechtfertigen, wenn Sie anderen Kunden eine offene Rechnung durchgehen lassen“, erkläre ich dem Unternehmen. Nun arbeite ich die offenen Forderungen ab und ich muss gestehen: Ich erledige diese Arbeit gern.

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