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Talente Gesucht

Recruiting zwischen Fachkräftemangel und Rezession

Foto: Privat

Wichtig ist, dass Recruiting individuell auf das jeweilige Unternehmensziel abgestimmt ist.

Wolfgang Brickwedde
Director Institute for Competitive Recruiting
linkedin.com/wolfgangbrickwedde

Zwischen KI, demografischem Wandel und Fachkräftemangel wird Recruiting zur Königsdisziplin. Ein Gespräch mit Wolfgang Brickwedde über den Wandel am Arbeitsmarkt.

Wie würden Sie den aktuellen Fachkräftemangel in Deutschland beschreiben und welche Herausforderungen sehen Sie?

Wir haben derzeit eine paradoxe Situation: Ein Drittel der Unternehmen will entlassen, ein Drittel will mehr einstellen und ein Drittel hält am Status quo fest. Die Zahl der Erwerbstätigen bleibt dennoch relativ stabil – wer entlassen wird, findet meist schnell wieder einen Job. Besonders herausfordernd ist die Lage für Unternehmen, die gleichzeitig entlassen und einstellen müssen, da hier eine Weiterqualifizierung kaum möglich ist. Diese Dynamik wird sich auch bei anhaltender Rezession nicht grundlegend ändern. Durch die Pensionierung der Babyboomer wird sich der Fachkräftemangel zudem weiter verschärfen.

Welche Impulse sollten Ihrer Meinung nach aus Politik und Gesellschaft kommen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Bekannte Hebel sind etwa die Reduktion der Teilzeitquote, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse, mehr Frauen im Erwerbsleben und flexiblere Rentenregelungen. Doch das allein reicht nicht aus. Die Lücke ist groß, und sie wird sich nicht vollständig mit heimischem Potenzial schließen lassen. Das bedeutet nicht zwangsläufig Zuwanderung – auch Remote-Arbeit wird künftig eine größere Rolle spielen.

Welche innovativen Recruiting-Strategien und Best Practices haben Sie in den letzten Jahren beobachtet?

KI ist mittlerweile fester Bestandteil vieler Prozesse – von der Textoptimierung bei Stellenanzeigen bis hin zu vollständig KI-basierten Recruiting-Systemen, die vor allem große Unternehmen nutzen.

Auch im Skills Management hilft KI, vorhandene Kompetenzen im Unternehmen sichtbar zu machen. Erfolgreiches Recruiting basiert zunehmend auf Personae, um Kandidat:innen gezielt anzusprechen. Kreativität spielt ebenfalls eine zentrale Rolle, etwa durch Guerilla Recruiting – Hauptsache, es hebt sich ab.

Welche Relevanz haben für Sie regionale Unterschiede und Besonderheiten von Standorten und Arbeitsmärkten in effektiven Recruiting-Strategien?

Das hängt stark vom Unternehmen und der Zielgruppe ab. In Berlin sucht man eher nach einem „Software Developer“, im ländlichen Raum eher nach einem „Software-Entwickler“. Wichtig ist, die Sprache und Medien der jeweiligen Region zu kennen. Manchmal reicht ein Gemeindeblatt völlig aus – es muss nicht immer digital sein.

Wie misst man den Erfolg von Recruiting-Strategien bzw. welche KPI sind dafür relevant?

Die KPI müssen zur Unternehmensstrategie passen. Manche Kunden bewerten Erfolg einzig daran, ob eine Stelle besetzt wurde – unabhängig von der Qualität. In anderen Fällen dauert die Suche bewusst ein bis zwei Jahre. Zur strukturierten Bewertung habe ich einen Recruiting-Fitness-Check mit 14 Kriterien entwickelt. Zudem lässt sich der Reifegrad des Recruitings mit Hilfe des ICR Reifegradmodells messen, um konkrete Optimierungspotenziale aufzudecken.

KI wird vor allem im Massengeschäft eine große Rolle spielen – überall dort, wo Prozesse standardisierbar sind. Gleichzeitig entsteht ein Engpass bei qualifizierten Fachkräften, insbesondere durch den Ruhestand der Boomer. Hier braucht es gezielte Ansprache, Beziehungspflege und Personal, das nicht von Algorithmen, sondern mit echter Aufmerksamkeit und Betreuung durch Menschen arbeitet. Recruiting wird sich zunehmend in zwei Richtungen entwickeln: Massengeschäft und Knappheitsgeschäft – beide mit unterschiedlichen Tools und Strategien.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie Unternehmen, insbesondere KMU, für ein wirksames und erfolgreiches Recruiting?

Das hängt von der Zielgruppe ab. Idealerweise bauen Unternehmen frühzeitig einen „Talent-Orbit“ auf – also eine Nähe zu potenziellen Kandidat:innen, lange bevor sie aktiv suchen. Prozesse sollten, wo möglich, automatisiert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kleine Unternehmen können KI nutzen, um gezielt passende Kandidat:innen anzusprechen. Wichtig ist, dass Recruiting individuell auf das jeweilige Unternehmensziel abgestimmt ist – es gibt keine One-fits-all-Lösung.

Weitere Informationen finden Sie unter:

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