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THE FUTURE OF WORK

Gute Arbeit braucht keine Leidenschaft

(Foto: Harvard Business School)

Jon Jachimowicz ist Assistant Professor für den Bereich Organizational Behavior an der Harvard Business School. Im Interview klärt er Mythen rund um das Thema Leidenschaft auf und zeigt, wie die Organisationen der Zukunft aufgebaut sein sollten.

Jon M. Jachimowicz

Assistant Professor, Harvard Business School

Welcher Aspekt der New Work Bewegung steht für dich im Mittelpunkt?

Ich glaube die fundamentale Frage, die wir uns stellen müssen, ist: „Was möchten wir aus unserer Arbeit gewinnen?“ Das klingt nach einer sehr einfachen Frage. Wir möchten ein Gehalt, einen gewissen Status in der Gesellschaft und wir möchten einen sinnvollen Beitrag leisten. Die Wichtigkeit dieser einzelnen Aspekte hat sich aber stark verschoben. Heute geht es immer mehr auch darum, die Leidenschaft oder Selbstverwirklichung im Beruf zu suchen.

Wir haben noch nicht vollkommen verinnerlicht, welche Änderungen dies in der Arbeitswelt mit sich bringen muss. Wenn die Anforderungen der Arbeitskräfte sich ändern, müssen sich auch das Arbeitsumfeld und die Strukturen ändern.

Du bist der Meinung, dass wir unsere Leidenschaft nicht nur in unserer Karriere folgen sollten. Warum?

Unser größter Fehler liegt darin, dass wir denken, Leidenschaft sei unveränderlich. In der Realität ist Leidenschaft aber ein sich stets wandelnder Teil unseres Lebens. Wir denken oft, dass wir nie wieder das Gefühl haben arbeiten zu müssen, wenn wir doch nur den richtigen Job finden würden. Wir denken, dass es einfach ist. Dabei hat das Wort „Leidenschaft“ selbst eine ganze andere Bedeutung: nämlich die Fähigkeit, Leid zu ertragen.

Welche Auswirkungen hat es also auf unseren psychologischen Erfahrungen, wenn wir unsere Leidenschaft verfolgen? Es ist herausfordernd und durch Rückschläge gezeichnet. Hin und wieder gibt es Erfolgserlebnisse, aber die sind eher selten. Und trotzdem tun wir es, weil uns die Arbeit selbst so wichtig ist, dass sie allein uns dazu bringt weiterzumachen.

Viele denken zudem, dass es nur die eine Leidenschaft gibt. Menschen bewegen aber meist viele verschiedene Dinge und man darf nicht erwarten, dass der Job alle dieser Bedürfnisse befriedigt. Solche Jobs gibt es nicht, solche Menschen gibt es nicht. In verschiedenen Bereichen des Lebens kann man verschiedene Leidenschaften verfolgen. Und das ist auch okay. Der Beruf ist nur ein Teil unseres Lebens. Wir haben hier einfach unrealistische Erwartungen.

Was können Unternehmen daraus lernen?

Wenn du als Unternehmen nur Menschen einstellst, die für den Job brennen, verurteilst du sie zum Scheitern. Denn wenn deine Organisation nicht die richtigen Rahmenbedingungen schaffen kann, werden die Mitarbeiter zwangsläufig ihre Leidenschaft für die Arbeit verlieren.

Wenn ich Managern die Frage stelle, was sie in diesem Fall machen, sagen mir die große Mehrheit von ihnen, dass sie diese Personen kündigen würden. Das scheint für viele bestimmt naheliegend. Dabei sollten wir die Schuld genauso bei der Organisation suchen, weil sie nicht für den richtigen Kontext gesorgt hat, der es dem Mitarbeiter ermöglicht, seine Leidenschaft aufrecht zu erhalten.

Die Gründe dafür können vielseitig sein. Einer ist Überarbeitung. Je leidenschaftlicher man an etwas arbeitet, desto mehr Zeit und Energie steckt man in diese Arbeit. Das führt aber auch zu Erschöpfung. Unternehmen müssen verstehen, dass es manchmal besser ist, die leidenschaftlichsten Mitarbeiter nach Hause zu schicken.

Wie müssen Organisationen aufgebaut sein, um Menschen mit ihren verschiedenen Zielen und Bedürfnissen zu stärken?

Genau das ist die Herausforderung hinter Diversity. In Unternehmen, in denen sich die Menschen zu Ähnlich sind, entsteht schnell Gruppendenken. Es kommen keine neuen Ideen auf und das Unternehmen bricht zusammen.

Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Zielen und Erfahrungen einzustellen, heißt aber auch nicht automatisch, dass die gesammelte Erfahrung auch nutzbar ist. Besonders dann nicht, wenn die psychologische Sicherheit nicht gegeben ist. In einem psychologisch sicheren Umfeld haben Menschen das Gefühl, sich einbringen zu können und dass ihre Ideen, Vorschläge und Bedenken gehört werden.

Wo das nicht der Fall ist, berufen sich Führungskräfte oft darauf, dass ihnen ja niemand sage, dass sie einen schlechten Job machen. Das ist aber kein gutes Zeichen. Als Führungskraft sollte man gesagt bekommen, was man besser machen kann; und Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass ihre Meinung wichtig ist. Aber dafür braucht es psychologische Sicherheit.

Eine gemeinsame Identität ist aber ebenso wichtig. Es braucht eine Mission, einen Purpose. Eine klare Unternehmenskultur und gemeinsame Werte helfen, die Mitarbeiter unter einer Flagge zu vereinen.

Viele Unternehmen haben das bereits verinnerlicht. Sie verstehen aber häufig noch nicht, dass selbst das perfekte Arbeitsumfeld innerhalb einer breiteren Gesellschaft besteht. Wie egalitär die Organisation auch gestaltet sein mag, die tieferliegenden Ungleichheiten werden sich in der Belegschaft abbilden.

Sind hierarchische Strukturen in Unternehmen also unvermeidlich?

Ja. So etwas wie „keine Hierarchie“ gibt es nicht. Menschen haben ein fundamentales Verlangen nach Hierarchie und Status. Das sieht man am Beispiel des Videospielentwicklers Valve. Valve nennt sich selbst die flachste Organisation. Es gibt keine Struktur, keine Titel, keine Vorgesetzten. Alle Mitarbeiter sind vermeintlich auf dem gleichen Level. Aber wenn man ehemalige Mitarbeiter fragt, findet man heraus, dass es sehr wohl Personen gibt, die mehr respektiert werden als andere und einen höheren Status innerhalb der Organisation haben.

Wie hierarchisch ein Unternehmen ist, hängt oft von der Anzahl der Mitarbeiter ab. In kleineren Organisationen können steile Hierarchien oft von Nachteil sein und der Agilität schaden. Wenn die Organisation wächst, muss sie sich zu einer klaren Struktur formen. Daran scheitern viele Unternehmen, weil diese Entwicklung einen hohen Druck auf die Kultur ausübt.

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