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Diversity Management

„Jeder soll so sein dürfen, wie er ist – ohne Wenn und Aber“

Frau Harrison, Sie sind “Inclusion & Diversity National Leader” – seit wann gibt es diese Position bei Airbus und was hat sich seitdem positiv verändert?

Nadine Harrison: Ich mache diesen Job jetzt seit mehr als drei Jahren, das Bewusstsein für dieses Thema gibt es bei Airbus nicht erst seit gestern. Und spätestens seit die Unternehmensstruktur vor anderthalb Jahren umgebaut wurde, ist das Thema auch „formal“ auf der Top-Ebene angekommen, wir sind damit jetzt sehr eng unterhalb der Personalleitung angesiedelt.

Das zeigt nicht nur, dass unser Management das ernst nimmt, sondern auch generell die wachsende Bedeutung von Diversity. Früher ging es hauptsächlich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Frauen in Führungspositionen– heute wird das Thema viel grundlegender verstanden. Die Kurzform: Jeder soll so sein dürfen, wie er ist, ohne irgendein Wenn und Aber.

Was macht das Engagement von Airbus einzigartig und erfolgreich?

Nadine: Ich weiß nicht, ob wir da so einzigartig sind – und ob es darauf ankommt. Ich denke, wo es um den Umgang mit Menschen geht, sollte nicht das Konkurrenzdenken im Vordergrund stehen. Wenn jede Firma der Welt da vorbildlich wäre, wäre das doch auch schön! Aber im Ernst, wir sind natürlich ein großes Unternehmen mit einer multinationalen DNA, insofern sind wir vielleicht schon immer etwas offener gewesen was die Vielfalt angeht. Heute geht es uns um ein zeitgemäßes Verständnis und einen möglichst idealen Umgang mit den Bedürfnissen unserer Mitarbeiter.

Corinne: in einem erweiterten Sinn geht es ja auch um das Thema Digitale Transformation: Technologien und Prozesse verändern sich, genau wie Menschen und Verhaltensweisen.

Machen wir es konkret: Welche Herausforderungen stellten sich denn in Corinnes Fall? Wie lief das ab?

Nadine: Also ich dachte erstmal nur: „Wow, wow, wow!“ (beide lachen) Ich habe mich total gefreut, dass wir so eine tolle, couragierte Mitarbeiterin haben. Corinne kam einfach auf mich zu und sagte „Du, hör zu, ich möchte als Frau leben, und ich möchte diesen Schritt hier im Unternehmen machen.“ Ehrlich gesagt war da erstmal nur ein Gefühl der Bewunderung – und viele Fragezeichen. Klar, wir öffnen uns, wir bewegen uns – aber das ganze LGBT-Thema steckt in Deutschland ja doch noch ziemlich in den Kinderschuhen.

Corinne: Es geht wirklich um die Denkweise, beziehungsweise um den erforderlichen Sinneswandel oder Mind-Change.

Nadine: Die größten Hürden haben wir im Kopf, in der Wirklichkeit ist das alles gar nicht so schwierig. Das ist wirklich das größte „Learning“! Und das finde ich super. In Corinnes Fall haben wir einfach alle, die es betraf, an einen Tisch geholt – und dann ging das ruck-zuck: Ich kam aus dem Urlaub zurück, und Corinne war in allen Systemen schon mit neuem Namen drin.

Corinne, Sie sind bereits 18 Jahre bei Airbus. Können Sie uns mitnehmen auf eine kleine Zeitreise?

Corinne: Angefangen hab ich als Programmierer, da gibt es sogar Software von mir, die immer noch im Einsatz ist. Dann hab ich die Teamleitung übernommen, und als aus dem Team eine Abteilung wurde, habe ich auch die eine Weile geleitet, bis ich ins internationale Projektmanagement gegangen bin, um mich um die Harmonisierung von IT-Prozessen verschiedener Unternehmensbereiche zu kümmern. Dadurch bin ich viel herumgekommen und hab nicht nur die Strukturen, sondern auch die Verhaltensmuster sozusagen vergleichend studiert. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich nur sagen: Damals wäre ich diesen Schritt niemals gegangen!
Nadine: Nee!
Corinne: Das war wirklich eine ganz andere Zeit, sehr hierarchisch organisiert, sehr männlich gemanagt…
Nadine: … ich bin vor 15 Jahren mal mit Rock und hohen Schuhen durch unsere Produktionshallen gegangen, da wurde ich richtig „ausgepfiffen“…
Corinne: … und ich gehe heute als Transfrau ohne Probleme im Rock durch die Produktion. Es wird das Knowhow wertgeschätzt und wir arbeiten gemeinsam an Lösungen. Vorurteile – Fehlanzeige,  dafür ist irgendwie kein Platz  Ich treffe einfach nette, professionelle Kollegen.

Was waren denn Ihre größten Bedenken, was das „Coming Out“ im Unternehmen anging?

Corinne: Die Angst vor den Reaktionen! Ich hab mich gefragt, wie mein Umfeld das aufnehmen würde, und ob ich meinen Job bei Airbus als Frau einfach so weitermachen könnte wie bisher. Da spielte natürlich schon eine große Rolle, dass ich meinen Job unglaublich gerne mache, das ist bestimmt nochmal was Anderes, wenn man denkt „Ich find das hier eh nicht so toll, ich verbinde die Veränderung vielleicht am besten gleich mit einem Jobwechsel.“ Das wollte ich überhaupt nicht, im Gegenteil. Insofern hat mir auch ein Zufall geholfen, ich hatte nämlich im Dezember eine OP am Knie und war dadurch einige Wochen „raus“.

Airbus hat ein sehr gutes Gesundheitsmanagement, ich wurde super betreut und habe dann im Zuge dieser Gespräche angefangen, das wirklich zu thematisieren. Darüber habe ich dann auch die entsprechenden Kontakte bekommen, denn wie wir bereits angesprochen haben – das Thema ist noch so neu, dass man erstmal gar nicht weiß, wohin man sich überhaupt wenden kann. Man braucht ja erstmal eine sogenannte „gesicherte Indikation“ von qualifizierter Stelle, um den ganzen Prozess der Geschlechtsangleichung tatsächlich einzuleiten.

Wohin kann man sich wenden?

Corinne: In meinem Fall war es das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, wo es eine der wenigen spezialisierten psychologischen Abteilungen gibt. Auch daran sieht man übrigens, dass da was passieren muss: Die Wartezeiten sind unglaublich lang! Es gibt also viel mehr Anfragen, als ich mir hätte vorstellen können. Auch in der Selbsthilfegruppe in Hamburg saßen nicht die vier, fünf Leute, die ich erwartet hatte, sondern 30.

Das hat mich überrascht, das hat mir aber auch Mut gemacht: Ich bin nicht alleine, im Gegenteil! Das ganze Thema ist viel weiter verbreitet, als man denkt. Vor allem „Betroffene“ haben oft das Gefühl, sie sind eine ganz seltene Spezies. Unterhalten Sie sich mal drüber, dann hören Sie bald nur noch von Schwestern und Cousins und Bekannten mit einer ganz ähnlichen Geschichte. Das Kopfkino ist das Schlimmste. Darum ist der wichtigste Schritt der erste: Raus aus dem Kopf damit, sonst kann man nicht merken, dass vieles eben „nur“ Kopfkino war. Ich sage das jetzt so locker, aber mit „Kopfkino“ sind auch ganz schlimme, depressive Gedanken gemeint, bis hin zu Suizidgedanken. Das ist etwas ganz Zerstörerisches.

Welche Reaktionen haben Sie dann erlebt?

Corinne: Nur gute! Einer der ersten Kollegen, dem ich es gesagt habe, meinte nur „Wenn du es den anderen sagst, würde ich gern dabei sein!“ Und das ging dann so weiter, die Reaktionen reichten von total liebevoller Zuwendung bis zu so einem wunderbaren „Schulterzucken“, im Sinne einer Selbstverständlichkeit, so ein fast freundschaftliches „Ja, na und? Mach doch!“

Mein Chef meinte sogar: „Mensch, ich hatte das schon irgendwie gedacht – aber mich nie getraut, Dich anzusprechen! Super! Jetzt ist es raus!“ Das war wirklich eine Riesenbefreiung. Er hatte zwar auch keine Ahnung, wie er mir da jetzt helfen könne aber darum geht es auch nicht. Ich meinte nur: „Ich weiß es auch nicht!“, und dann lagen wir uns fast in den Armen. (lacht) Das Schlimmste ist das Ganz-allein-damit-sein – und allein ist man eben nur vor dem ersten Schritt. Sobald man drüber redet, ist man auf einem Weg, den man nicht alleine geht.

Nadine: Das liegt aber vielleicht auch an dir, Corinne! Du hast das wirklich so souverän gemacht. Wenn ich nur an deine Email denke…

… Email?

Corinne: Ja, ich hab mich entschieden, eine Rundmail zu schreiben. Also, die „ersten“ 150 Leute, meine Teams, meine Chefs, die hab ich persönlich informiert, bin durch die Abteilungen gegangen und hab mit denen gesprochen. Aber dann hab ich eine Mail an etwa 1000 Leute geschrieben, Airbus-Mitarbeiter aus der ganzen Welt, auf Deutsch und auf Englisch. Ich hab darauf dann so viele tolle Antworten bekommen, da könnte ich Ihnen stundenlang vorlesen. Am Schönsten waren die Reaktionen der Kollegen, die stolz darauf sind, in einem Unternehmen wie Airbus zu arbeiten, in dem so ein Coming Out möglich ist.

Sowohl die Unterstützung als auch die Lernkurve waren auch für mich beeindruckend. Trotz Urlaubszeit wurde der Name sehr schnell nach Prüfung der Rechtsabteilung in allen Personalsystemen und damit auch Mail, Reisebuchungen etc. geändert. Als Trigger diente der Ergänzungsausweis der DGTI*, der die Transidentität vor der offiziellen gerichtlichen Namensänderung bestätigt, z.B. für Grenz- und Polizeikontrollen. Aber auch meine Banken, Versicherungen, selbst die Krankenkasse hat den Ausweis anerkannt. Vieles ist also mit dem richtigen Willen sehr einfach. Nur ein paar Privatunternehmen und die Behörden tun sich da teilweise noch etwas schwer. Die müssen noch ihre Hausaufgaben machen, die Airbus schon erfolgreich gemacht hat.

*DGTI – Deutsche Gesellschaft zur Transidentität und Intersexualität e.V.

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