Home » Gesundheit » Die Entwicklung von Gesundheit und Sicherheit
Gesundheit

Die Entwicklung von Gesundheit und Sicherheit

Frau Jasper, Herr Erdmann, wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf in Sachen Gesundheitsmanagement und Arbeitssicherheit?

Frau Jasper: Grundlegend lässt sich zusammenfassen, dass die Themen zu wenig Interesse wecken. Nach dem Motto „Es ist ja noch nie etwas passiert“ wird die Aufmerksamkeit der Arbeitgeber erst dann erreicht, wenn ein Schadensfall eintritt. Daher ist die Aufklärung und Sensibilisierung der Führungskräfte und Mitarbeiter entscheidend.

Herr Erdmann: Eine der größten Herausforderungen ist es zudem, aus einem Aktionismus herauszukommen, um die beiden Themen strategisch anzugehen und keine Strohfeuereffekte zu entfachen. Hier sind in den letzten Jahren viele Ressourcen nicht optimal genutzt worden. Ein weiterer Aspekt ist, dass es sich bei den Themen Gesundheitsmanagement und Arbeitssicherheit heute nicht mehr nur um eine Nebenbedingung handelt, sondern dies harte strategische Faktoren für die Arbeitnehmer geworden sind und diese auch explizit verlangt werden. Der Mitarbeiter ist zum strategischen Erfolgsfaktor geworden, und diesen gilt es, gesund zu erhalten.

Haben diese beiden Bereiche überhaupt so viel gemeinsam, wie man als „Laie“ denkt?

Herr Erdmann: Ja, das ist eine berechtigte Frage. BGM teilt sich in drei klassische Säulen auf. Die betriebliche Gesundheitsförderung, bei der es darum geht, den Mitarbeiter insbesondere durch Präventionsangebote gesund zu erhalten. Das Eingliederungsmanagement, bei dem die Mitarbeiter beispielsweise nach längerer Abwesenheit wieder an den Arbeitsalltag herangeführt werden. Und schließlich der Arbeitsschutz, bei dem es darum geht, dass die Mitarbeiter sich bei der Arbeit keine Verletzungen zuziehen. Somit ist der Arbeitsschutz eine wichtige Teilmenge des betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Frau Jasper: Auch ich sehe eine deutliche Verbindung. Die beiden Faktoren hängen nicht nur zusammen, sondern beeinflussen sich. Denn Schadensfälle führen auch immer zum Ausfall der Gesundheit. Insbesondere arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten wie Lärm, Rückenschmerzen oder Atemwegs- und Hauterkrankungen zeigen die direkte Verknüpfung.

Wie und wo gibt es Überschneidungen, wo eventuell kategorische Unterschiede?

Frau Jasper: Arbeitssicherheit ist umfassender und behandelt spezielle Themen wie beispielsweise Brandschutz. Es betrifft betriebliche Maßnahmen der Arbeitsstätte. Die Überschneidung kommt durch Themenfelder wie Ergonomie, psychische Belastungen oder Gefahrstoffe.

Herr Erdmann: Um an Frau Jasper anzuknüpfen, kann man sagen, dass das betriebliche Gesundheitsmanagement einen strategischen Ansatz darstellt, der nachhaltig über eine längere Zeit eine Art Überbau beinhaltet, an dem alle konkreten Maßnahmen ausgerichtet werden. Beim Arbeitsschutz als solches geht es hingegen primär um Methoden und Instrumente zum Schutz der Mitarbeiter vor arbeitsbedingten Sicherheits- und Gesundheitsgefährdungen mit dem Ziel, Arbeitsunfälle zu vermeiden.

Ist es eigentlich berufs- beziehungsweise branchenabhängig, wie gut (oder weniger gut) geschützt Arbeitnehmer sind, oder geht es eher um grundsätzliche, industrieübergreifende Probleme, zum Beispiel Trägheit der Politik oder Abwehrhaltung der Arbeitgeber?

Herr Erdmann: Das ist eine spannende Frage. Grundsätzlich gibt es mittlerweile etliche Studien und Untersuchungen, die unterschiedliche Gefährdungspotenziale in unterschiedlichen Betrieben beinhalten. So schneidet bei dem jüngsten Report insbesondere die Pflege sehr schlecht ab. Das klingt paradox, aber die Gesundheitsbranche selbst schützt die eigenen Mitarbeiter nicht.

In der klassischen Industrie wird klassischerweise stark auf den Arbeitsschutz gesetzt, während beispielsweise in der Versicherungsbranche mehr Themen wie Gesundheitsförderung (gesunde Führung, Ernährung und Bewegung) eine wesentliche Rolle spielen. Der jüngste WHO-Report hat noch einmal gezeigt, dass das Thema mangelnde Bewegung Menschen krank macht. Ansonsten gibt es viele branchenübergreifende Themen wie beispielsweise gesunde Führung, Achtsamkeit und Resilienz.

Frau Jasper: Ich denke, es ist die generelle Einstellung der Unternehmen. Wie schon gesagt, sind unzureichendes Investitionsinteresse und fehlendes Verantwortungsbewusstsein entscheidend. Ist es gesetzlich nicht gefordert, den Arbeitnehmer gesundheitlich zu fördern, wird es schlicht und ergreifend auch nicht gemacht. Aber es ist keineswegs die alleinige Schuld der Arbeitgeber. Auch Arbeitnehmer zeigen mangelnde Eigenverantwortung und wenig Interesse an der eigenen Sicherheit am Arbeitsplatz.

Wenn man sich die Arbeitsbedingungen vor 100 Jahren (oder heute in vielen anderen Teilen der Welt) anschaut, sind wir schon ziemlich weit gekommen. Sehen Sie sich manchmal dem Vorwurf des „Meckerns auf hohem Niveau“ ausgesetzt? – Früher Lebensgefahr im Bergbau, heute ergonomische Bürostühle.

Frau Jasper: Lassen wir Zahlen sprechen, so sind die sinkenden Unfallzahlen und Arbeitsunfähigkeitstage ein deutlicher Indikator für die Verbesserung. Alle 20 Jahre halbiert sich die Zahl der tödlichen und schweren Arbeitsunfälle. Gleichzeitig geht die Zahl der Krankheitsausfälle kontinuierlich zurück. Das hängt zusätzlich auch mit den hohen Kosten für Unfälle, Schadensfälle oder Erkrankungen zusammen, die für das Unternehmen anfallen.

Als Fundament gilt sicherlich das Arbeitsschutzgesetz von 1996. Damit kam ein langsames Umdenken in Gang, das präventives Handeln und nicht reaktives Nachbessern fordert. Aber auch die Einstellung des Menschen ist anders. Bewegung, Sport und Ernährung werden durch die Wichtigkeit im Privatleben auch in Unternehmen übertragen.

Herr Erdmann: In der Tat haben sich die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert, und damit werden wir auch immer älter und gesünder. Mittlerweile seit über 300 Jahren haben sich die ersten Betriebe um die Gesundheit der Mitarbeiter gekümmert. Wir blicken damit auf eine lange Tradition zurück. Dennoch besteht Handlungsbedarf.

Wir haben heute eben andere Gefahrenquellen, wie immer weniger Bewegung und vor allem aber auch psychische Erkrankungen wie Burn-out und Depressionen. In einer immer komplexer werdenden und immer dynamischeren Welt fühlen sich viele Mitarbeiter abgehängt, teilweise wenig wertgeschätzt, haben Angst, von der Maschine ersetzt zu werden, und werden krank.

Wo verorten Sie den wichtigsten Hebelpunkt für gute/bessere Arbeitsbedingungen und worauf kommt es am meisten an?

Herr Erdmann: Zum einen zeigen Studien, wie die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung und der Universität Duisburg-Essen, dass sich die Rolle der Gewerkschaften ändert, indem viel mehr gemeinsam mit der Geschäftsführung statt gegeneinander überlegt werden muss, wie bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden können. Und das nicht zuletzt deswegen, weil wir uns heute in einem Arbeitnehmermarkt befinden, bei dem es heute bereits spürbar um den „War for Talents“ geht.

Frau Jasper: Das hängt auch damit zusammen, dass ein sicherer Arbeitsplatz ein gutes Gefühl ausstrahlt. Gesunde und motivierte Mitarbeiter fallen weniger aus und sind leistungsbereiter. Hierbei kommt es auf die betriebliche Führungskraft an. Deren Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit, aber auch das Aufzeigen des Nutzens solcher Maßnahmen ermöglichen erst einen solchen Hebelpunkt.

Herr Erdmann, was werden die Schwerpunkte sein auf dem diesjährigen Work & Health Congress?

Es geht dieses Jahr schwerpunktmäßig um das Thema Gesundheit und Arbeit 4.0. Der Begriff Digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement wurde in den letzten Jahren maßgeblich von Prof. Dr. David Matusiewicz von der FOM Hochschule in Essen geprägt, indem das betriebliche Gesundheitsmanagement durch die heute eingesetzten technischen Möglichkeiten auf ein neues Level gebracht wird. Es gibt heute durch Instrumente wie Gesundheitsapps, Employee-Assistant-Programme (EAP) oder Serious Games ganz neue interessante Möglichkeiten. Heute können Langzeitdaten erfasst werden, und auch die gesundheitsökonomische Evaluation ist mithilfe von digitalen Instrumenten möglich. So freuen wir uns auch, dass Herr Prof. Matusiewicz den Kongress moderieren wird.

Frau Jasper, worum geht es im Jahr 2018 auf dem Arbeitsschutztag?

Bei der 63. Arbeitsschutztagung konzentrieren wir uns auf die normativen Änderungen und Entwicklungen im Regelwerk, wobei mit der DIN ISO 45001 die Prozesse im Arbeitsschutz systematisiert und international vereinheitlicht werden. Ein breiter Raum wird der Veränderung der Arbeitswelt durch die allumfassende Digitalisierung eingeräumt werden. Wenn Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit unschärfer werden, die Erreichbarkeit und die Einteilung der Arbeit zunehmend Sache des selbstständiger werdenden Arbeitnehmers werden, steigt die Gefahr psychischer Überlastung. Da die klassische Rollenverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in agilen Unternehmen wankt, Erscheinungen wie die „Gig Economy“ Kräfte temporär von außerhalb in den Arbeitsprozess einbeziehen, darf der Arbeitsschutz nicht am betriebsinternen Arbeitsplatz enden.

Haben Sie beide ein paar aussagekräftige Zahlen oder Beispiele, die den Status quo und die eventuell dringendsten Probleme verdeutlichen?

Frau Jasper: Man muss sich vor Augen halten, welche Kosten entstehen. Ein Arbeitsunfähigkeitstag kostet den Unternehmer durchschnittlich 500 Euro. Rechnet man das hoch, entsteht im Jahr eine erhebliche Summe. Jeder in den Arbeits- und Gesundheitsschutz investierte Euro reinvestiert 1,50 Euro zurück ins Unternehmen. Sicherheit lohnt sich also.

Herr Erdmann: Laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) führten psychische Erkrankungen im Jahr 2013 zu rund 82 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen. So gelten psychische Erkrankungen als dritthäufigster Grund für Arbeitsunfähigkeit (direkt nach Muskel-/Skelett- und Atemwegserkrankungen). Dies hat auch Folgen für unsere Volkswirtschaft, so schätzt man beispielsweise, dass jede zweite Frühverrentung durch psychische Erkrankungen verursacht wird.

Nächster Artikel