Frau Dr. Hapkemeyer, Stress und psychische Belastungen bei der Arbeit sind in den letzten Jahren ein viel diskutiertes Thema und ein häufiger Grund für krankheitsbedingte Fehltage und Frühverrentungen – auch unter Managern – geworden. Wie kommt es dazu?
Wir leben in einer Welt, in der die Menge an Informationen exponentiell ansteigt und sich Kommunikation permanent beschleunigt. Davon sind alle Lebensbereiche, aber insbesondere die Berufswelt betroffen. Ständige Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung, Wandel in immer kürzeren Zyklen sind nur einige Faktoren.
Unabhängig von der Frage nach Ursachen ist eines Fakt: Eine zunehmende Zahl von Beschäftigten und auch von Führungskräften leidet unter psychischen Belastungen und empfindet Stress. Die Ursachen sind vielfältig, die Auswirkungen eindeutig: Anhaltende psychische Belastungen gehen auf die Gesundheit.
Sind psychische Belastungen das gleiche wie Stress?
Psychische Belastungen sind äußere Einflüsse, die ungünstig auf den Menschen einwirken, z. B. häufige Unterbrechungen oder fehlende Informationen. Langfristig können sie sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Aber ob eine Belastung zu Stress führt, ist bei jedem Menschen verschieden. Hinzu kommt, dass häufige Unterbrechungen oder Entscheidungen unter Unsicherheit bei einer Führungsposition normal sind. Viele Führungskräfte empfinden dies sogar als positiven Stress, als Herausforderung.
Daran zeigt sich: Eine bestimmte Belastung kann von einer Person als Stress empfunden werden und wird von einer zweiten kaum wahrgenommen. Existieren neben den Belastungen auch Faktoren, die als Ausgleich wirken, wird die Wirkung von Belastungen gemildert. Beispiel: Ein hoher Grad an Verantwortung ist bei guter Rückendeckung durch den Vorgesetzten bzw. die Geschäftsführung besser zu ertragen. Viel Arbeit und Zeitdruck lassen sich durch Handlungsspielräume kompensieren. Erfolgreiche Unternehmen fördern solche Ausgleichsfaktoren.
Aber wie vermeidet man dann eine berufliche Überlastung von Managern?
Die Vorstellung, jeden Tag nach einer festgelegten Stundenzahl die Tätigkeit zu beenden, ist für Manager oft unvorstellbar und auch nicht zufriedenstellend. Würde man sie dazu zwingen, könnten sie die gewonnene private Zeit nicht zur Erholung nutzen, sie würden gedanklich „weiterarbeiten“. Und dies nicht, weil es von außen verlangt wird, sondern weil sie sich in hohem Maße mit ihrer Tätigkeit identifizieren.
Es geht also darum, die eigene Leistung und den eigenen Leistungsanspruch in Einklang – oder zumindest nicht in Widerspruch – mit der eigenen Gesundheit zu bringen. Denn Raubbau an der Gesundheit führt über kurz oder lang zu Einbußen der Leistungsfähigkeit. Die Frage, die sich daraus für Unternehmen ergibt: Wie kann eine Kultur geschaffen werden, in der Führungskräfte Leistung und Gesundheit eigenverantwortlich, aber verantwortungsvoll in Einklang bringen?
Dafür bedarf es einer entsprechenden Sensibilisierung und das bereits bei jungen Nachwuchsführungskräften. Denn gerade die laufen oft Gefahr, für die Karriere die eigene Gesundheit zu riskieren.
Was sollten Unternehmen also tun?
Unternehmen sollten der gesetzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung nachkommen – und dabei auch die Führungskräfte entsprechend berücksichtigen. Denn die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung hat das Potential, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu steigern: Negative Einflussfaktoren auf Engagement, Motivation und Gesundheit der Beschäftigten und ebenso der Führungskräfte werden erkannt und reduziert.
Dies wirkt sich positiv auf Engagement, Produktivität und Entwicklungsbereitschaft und damit auf den Unternehmenserfolg aus. Gleichzeitig sollten Führungskräfte von Beginn ihrer Karriere an für eine gesundheitsorientierte Selbst- und Mitarbeiterführung sensibilisiert werden. Gesundheit muss zum Leitgedanken des Handelns aller Führungskräfte werden.